Donnerstag, 23. August 2012

Philhellenen-Bashing?

Natürlich kann man Martin Walsers Euro-Apologie, für die Hölderlin und Nietzsche herhalten müssen, mit einem Blick auf währungshistorische Realitäten sinnvoll antworten, so wie es hier geschieht. Aber muss man deshalb gleich das Kind mit dem Bade auskippen und Hölderlin denunzieren als zugehörig zu "Stubenhockern und Leseratten, die mit Mitte dreißig der geistigen Umnachtung anheimfallen" , wie es Tilman Krause auf Welt Online tut? Und als ob das nicht reichen würde, langt Krause nach: Hölderlin sei von der einzigen Großstadt, in der er je war - Bordeaux - "überfordert" gewesen; von seiner Griechenland-Träumerei gelte: "Rührend mag man das nennen, tragikomisch oder auch trostlos, je nachdem.".

Meint er das als ausgewiesener Germanist und Literaturgeschichtler im Ernst?

Micht erinnert das eher an die Hervorbringungen der typischen Absolventen unserer heutigen "Bildungsgänge". Wenn sich der geistige Horizont eines Menschen des ausgehenden 18. Jahrhunderts nach der Zahl seiner Auslandsreisen bemisst, wie Krause zu meinen scheint, dann können wir Kant oder Hegel und diverse andere wohl auch vergessen. Aber mehr als diese Pauschaltouristen-Perspektive, die Länder abhakt wie Stationen beim Zirkeltraining und sich danach schon für welterfahren hält, lehrt einen offenbar heute weder Gymnasium noch Universität. Und dass die Griechenlandbegeisterung nicht nur bei Hölderlin Chiffre für eine Welthaltung war, die zu rekonstruieren und deren Verlust zu betrauern war, weil nur so die heraufziehende Moderne zu deuten war, mag wohl vor allem jemandem schwer einleuchten, dem zur Weltdeutung der tägliche Konsum von Mainstream-Medien reicht.

Dass man vor amtlich verordneter Euro-Gläubigkeit die Contenance bisweilen verlieren kann, leuchtet ein. Aber darum muss man doch nicht gleich die Ressentiments heutiger Bildungs-Barbarei als Verbündete beschwören.

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